Wenn die Welt schwankt:
Kinder, Jugendliche oder Erwachsene können ein „wackeliges“ Körpergefühl, Unsicherheit beim Gehen oder eine scheinbare „Ungeschicklichkeit“ haben. Was auf den ersten Blick wie ein typisches Gleichgewichtsproblem aussieht, kann bei genauerem Hinsehen mit einer oft übersehenen Diagnose zusammenhängen: Dyspraxie.
Gleichgewicht – Mehr als nur nicht umfallen
Unser Gleichgewichtssystem ist ein kleines Wunderwerk. Es besteht nicht nur aus dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr, sondern ist ein Zusammenspiel aus Informationen von Körperwahrnehmung (Propriozeption), visuellen Informationen und der Fähigkeit des Gehirns, all das sinnvoll zu koordinieren. Nur wenn alle Systeme gut zusammenarbeiten, können wir uns sicher durch den Raum bewegen.
Ein stabiles Gleichgewichtssystem ermöglicht uns:
- Auf einem Bein zu stehen,
- Uns in der Bewegung zu orientieren,
- Plötzliche Richtungswechsel auszuführen,
- Oder einfach Treppen zu steigen, ohne zu stolpern.
Wenn aber dieses System gestört ist, fühlen wir uns sprichwörtlich „aus dem Gleichgewicht gebracht“. Das zeigt sich nicht nur durch klassischen Drehschwindel, sondern auch durch:
- Unsicherheit beim Gehen auf unebenem Boden,
- Häufiges Stolpern oder Anstoßen,
- Körperliche Unruhe oder Angst vor Bewegung,
- Oder das Gefühl, ständig „daneben“ zu greifen oder zu handeln.
Dyspraxie: Wenn das Gehirn den Plan nicht umsetzen kann
Hier kommt Dyspraxie ins Spiel. Bei einer Dyspraxie fällt es Betroffenen schwer, Bewegungen zu planen und gezielt auszuführen, obwohl keine Lähmung oder Muskelschwäche vorliegt. Es ist, als würde das Gehirn zwar wissen, was zu tun ist, aber der Weg zur Umsetzung ist wie ein schlechter WLAN-Empfang: verzögert, ungenau oder fehlerhaft.
Kinder (und auch Erwachsene) mit Dyspraxie wirken oft:
- Tollpatschig oder ungeschickt,
- Haben Mühe, komplexe Bewegungen zu koordinieren (z. B. Fahrradfahren, Ball fangen, Tanzen),
- Vermeiden Bewegungssituationen, die sie überfordern,
- Oder entwickeln kompensatorische Strategien, um nicht aufzufallen.
Wo ist der Zusammenhang?
Jetzt wird es spannend: Bei vielen Menschen mit Dyspraxie fällt auf, dass sie auch vestibuläre Auffälligkeiten zeigen. Das heißt:
- Sie reagieren überempfindlich auf schnelle Bewegungen oder Drehungen,
- Haben Probleme, ihr Gleichgewicht zu halten,
- Oder zeigen ein unsicheres Körperschema.
Warum das so ist? Das Gehirn braucht für gute Bewegungsplanung ein stabiles Fundament. Wenn aber die Reize aus dem Gleichgewichtssystem nicht richtig ankommen oder vom Gehirn falsch verarbeitet werden, fehlt die Grundlage, um Bewegungsabläufe zuverlässig zu planen. In der Ergotherapie spricht man hier von sensorischer Integrationsstörung die Informationen aus dem vestibulären System, der Tiefensensibilität und dem Sehsinn werden nicht optimal zusammengeführt. Das Ergebnis: Dyspraxie-Symptome werden stärker spürbar, besonders in dynamischen Alltagssituationen.
Was gibt es für Lösungen?
Sinnvoll ist es, das Gleichgewichtssystem gezielt zu stärken und die sensorische Integration zu fördern. Dabei können unter anderem folgende Methoden eingesetzt werden:
- Schaukeln, Drehen oder Balancieren: Sie aktivieren das vestibuläre System und helfen dem Gehirn, Bewegungsreize besser zu verarbeiten.
- Gezielte Bewegungsabfolgen (z. B. Parcours): Sie trainieren die Bewegungsplanung und -durchführung.
- Kombination aus Gleichgewichtsreizen und kognitiven Aufgaben: trotz Unsicherheit im Gleichgewicht gezielt zu handeln, superwichtig für den Alltag!
- Beratung für Eltern und Bezugspersonen: Wie kann Bewegungsfreude gefördert werden, ohne Überforderung auszulösen?
Nicht jeder Schwindel ist gleich
Gerade bei Kindern oder Jugendlichen, die „ungeschickt“ wirken oder scheinbar grundlos über Schwindel klagen, lohnt sich der Blick über den Tellerrand hinaus. Hinter Gleichgewichtsproblemen kann mehr stecken zum Beispiel eine Dyspraxie oder eine sensorische Verarbeitungsstörung. Ich unterstütze, diese Zusammenhänge zu erkennen und gemeinsam mit den Betroffenen Lösungswege zu finden.
Denn: Bewegungsfreude, Sicherheit und ein gutes Körpergefühl sind kein Zufall, sie sind das Ergebnis einer gelungenen Entwicklung, die wir gezielt unterstützen können.
Wenn du dir unsicher bist, ob bei deinem Kind oder dir selbst eine Dyspraxie oder Gleichgewichtsstörung vorliegt, melde Dich gerne. Eine ausführliches Gespräch kann Klarheit bringen und vor allem eines: neue Perspektiven.