Wer schon einmal mit einem Kind Teig geknetet, eine Paprika gemeinsam entkernt oder gemeinsam eine Suppe abgeschmeckt hat, weiß: Kochen ist viel mehr als nur die Zubereitung von Nahrung. Es ist ein sinnliches Erlebnis, ein kleines Alltagsabenteuer. Und als Ergotherapeutin mit vielen Jahren Erfahrung in der Arbeit mit Kindern mit unterschiedlichsten Einschränkungen von Autismus, ADHS,Dyspraxie bis hin zu Mehrfachbehinderungen und auch mit Erwachsenen nach einem Schlaganfall oder mit MS, kann ich sagen: „Kochen ist aus therapeutischer Sicht eine wahre Schatzkiste voller Möglichkeiten!“
Denn kaum eine Aktivität vereint so viele förderliche Elemente auf so spielerische Weise. Mit meinen eigenen Kindern stehe ich oft in der Küche, wir stellen zuckerfreie Pralinen her, probieren neue Rezepte aus und genießen diese gemeinsame Zeit. Was dabei passiert, ist weit mehr als ein schönes Familienritual. Es ist pure, ganzheitliche Förderung.
Kochen spricht alle Sinne an
Beim Kochen passiert auf sinnlicher Ebene ganz viel: Kinder hören das Knistern der Zwiebeln in der Pfanne, fühlen die kühle Butter zwischen den Fingern, riechen die frische Petersilie und beobachten, wie aus einfachen Zutaten etwas Leckeres entsteht. Für Kinder mit Wahrnehmungsproblemen – z. B. mit einer taktilen Überempfindlichkeit oder Schwierigkeiten in der Reizverarbeitung – bietet das Kochen einen geschützten Rahmen, um Sinneseindrücke gezielt zu erleben und positiv zu verknüpfen.
Durch Wiederholung, Vorhersehbarkeit und den familiären Rahmen kann das Kind lernen: „Ich kann das aushalten, ja sogar genießen!“
Motorik & Koordination ganz nebenbei trainieren
Kinder mit Dyspraxie oder Koordinationsschwierigkeiten haben oft Mühe, Bewegungsabläufe zu planen und umzusetzen. Beim Kochen werden verschiedenste Bewegungsmuster benötigt: Schneiden, Rühren, Kneten, Umfüllen, Öffnen und all das in sinnvollem Zusammenhang. Und das Beste: Weil das Ziel (lecker essen!) so motivierend ist, bleibt das Kind meist voller Freude bei der Sache, oft länger als bei einer klassischen Übung.
Auch nach einem Schlaganfall bietet Kochen eine wertvolle Rehabilitationsmöglichkeit: Feinmotorik, Kraftdosierung, bilaterale Koordination,all das kann im Alltag gezielt geübt werden, ohne dass es sich nach „Training“ anfühlt.
Konzentration und & Handlungsplanung fördern
Ein Rezept zu folgen ist eine wahre Konzentrationsleistung! Reihenfolgen einhalten, Mengen abmessen, Zwischenschritte merken, all das fördert die sogenannte exekutive Funktion. Kinder (und auch Erwachsene), die Schwierigkeiten mit der Konzentration oder der Handlungsplanung haben, können beim Kochen erleben, wie es gelingt, eine Aufgabe bis zum Ende durchzuhalten mit einem richtig leckeren Ergebnis.
Mein Tipp: Einfache, bebilderte Rezepte oder kleine „Aufgabenkarten“ helfen, Schritt für Schritt mitzumachen.
Der soziale Aspekt: Gemeinsam statt allein
Kochen in der Gruppe oder als Familie bedeutet: miteinander sprechen, Aufgaben absprechen, aufeinander achten. Gerade für Kinder mit sozialen Schwierigkeiten ist das ein geschützter Rahmen, um soziales Verhalten zu üben – z. B. abwarten, bis man dran ist, Hilfe annehmen, um Hilfe bitten oder auch mal jemandem ein Stück Gurke reichen.
Auch nach einem Schlaganfall ist das Kochen in der Familie eine wunderbare Möglichkeit, trotz körperlicher oder sprachlicher Einschränkungen am Alltag teilzuhaben und sich eingebunden zu fühlen.
Selbstwirksamkeit und Stolz erleben
Ich erinnere mich an ein Kind mit Autismus, große Probleme hatte den Teig zu berühren. Langsames Heranführen an dieses Gefühl, erst mit dem Löffel und später mit einem Finger in der geführten Bewegung, ermöglichte diesem Kind, dass es heute mit der Familie gemeinsam Teig knetet und backt. Oder an eine ältere Dame nach einem Schlaganfall, die durch das gemeinsame Kartoffelschälen wieder mehr Gefühl in der Hand und so sich selbst in der Küche wieder versorgen konnte.
„Ich hab das gemacht!“ Selbstwirksamkeit ist ein großes Thema: das Gefühl, etwas eigenständig geschafft zu haben. Beim Kochen kann jeder mitmachen, egal ob groß oder klein, ob mit Einschränkungen oder ohne. Und am Ende gemeinsam zu essen, was man selbst zubereitet hat, stärkt nicht nur das Selbstwertgefühl, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl.
Kochen ist Therapie im besten Sinne: alltagsnah, sinnlich, gemeinschaftlich und motivierend. Ob für Kinder mit Wahrnehmungsproblemen, Dyspraxie oder Aufmerksamkeitsstörungen oder für Erwachsene nach neurologischen Erkrankungen wie einem Schlaganfall: Die Küche ist ein Ort voller leckerer Erfolgserlebnisse!
Also: Ran an die Schürzen! Gemeinsam schnippeln, lachen, kleckern, rühren und mit allen Sinnen erleben, wie heilsam der Alltag sein kann.